Volkstümliche Schlager in Ostdeutschland: Erbe – Identität – Quote

Projektleitung: Prof. Dr. Frank Bösch, Dr. Christoph Classen (ZZF) 
Bearbeiter: Dr. Nikolai Okunew

Seit den späten 1980er Jahren ist Volksmusik im Osten Deutschlands ein Massenphänomen. Bereits kurz vor der Wiedervereinigung hatte der Musikantenstadl die zweithöchsten DFF-Sehbeteiligungen, übertroffen nur von der Aktuellen Kamera. Langfristig sollte aus der nicht-fiktionalen Unterhaltungssparte der DDR-Fernsehlandschaft allein die MDR-Volksmusik in der gesamtdeutschen ARD reüssieren.

Außer als Aufhänger für (westdeutsche) Kulturkritik fand der volkstümliche Schlager jenseits seiner Anhänger bisher kaum Beachtung. Inwiefern in den verschiedenen Formaten inhaltliche Traditionen aus der DDR übernommen und transformiert wurden, blieb ebenso kaum erforscht wie die Gründe für die Beliebtheit des Massenphänomens. Hypothesenhaft lässt sich formulieren, dass auf den Ebenen Text, Bild und Performanz in der Volksmusik (erfundene) Tradition und Identität zentrale Rollen spielen. Was diese ausmacht, musste im Ostdeutschland der 1990er Jahre allerdings neu verhandelt und konfiguriert werden. Regionale Traditionen verschmolzen mit Identitätsankern aus der DDR, so dass neue, alte imagined communities im veränderten deutsch-deutschen Kontext entstanden. Was machte sie aus, wie verhielten sich Fans und Kulturschaffende zu westdeutschen Regionalismen und zur unmittelbaren Vergangenheit? Diese Fragen sollen mit den Methoden der Popgeschichte bearbeitet werden und performative und emotionale Aspekte einschließen (Geisthövel/Mrozek 2014). Im Zentrum stehen dabei die mediale Repräsentation der Musik, spezielle Magazine und Sampler sowie Volksmusiksendungen des MDR. Der Blick wird außerdem auf die Lebenswege vor und hinter den Kulissen gerichtet, etwa von Carmen Nebel und Achim Mentzel, die ihre DDR-Karrieren fortsetzten, aber auch westdeutsche „Einheitspraktiker“ wie Henning Röhl, der für den MDR die Feste der Volksmusik erfand.

In der Forschung zur „Wiedervereinigungsgesellschaft“ (Großbölting 2020) fehlen kulturhistorische Aspekte meist (Kowalczuk/Ebert/Kulick 2021). Die Erforschung ostdeutscher Volksmusik schließt diese Lücke, bricht gleichzeitig mit der historiografischen Tradition, Pop-Avantgarden zu erforschen, und richtet den Blick auf Teile des unterforschten „Harmoniemilieus“ (Schulze 2005). Untersucht werden so regionale Identitäten, politisierbare Vorstellungen von Heimat in einer Transformationsgesellschaft und die Rolle einer sich wandelnden Medienlandschaft (Lücke 2009, Palmowski 2009, Mendívil 2015).