Ostdeutsche Medienskepsis – ein mediales Erbe der DDR?

Projektleitung: Prof. Dr. Michael Meyen (LMU)
Bearbeiter: Lukas Friedrich

Immer mehr Menschen vertrauen nicht mehr darauf, dass Medien gesellschaftliche Realitäten abbilden, sondern vermuten, dass Nachrichten lückenhaft, im Sinne der Regierung oder sogar verfälscht wiedergegeben werden, ein wachsender Teil der Bevölkerung fühlt sich nicht mehr repräsentiert (infratest dimap 2020, Köhler 2016, Krüger/Seiffert-Brockmann 2018, Schultz et al. 2017, Teusch 2018). Die „Lügenpresse“-Debatte erreichte in der Flüchtlingskrise 2015 einen Höhepunkt, flachte dann ab und gewann mit Corona wieder an Dynamik. Wie 2015 waren Protest und Medienkritik in Ostdeutschland stärker als im Westen (Grande et al. 2021: 11-12). Dabei wurde oft ein direkter Bezug zum Herbst 1989 hergestellt („Okkupation des 89-Narrativs“, Bernhard 2022) und das DDR-Erbe als Vergleichs- und Bezugsgröße markiert. Ostdeutsche Medienschaffende begründen diese Skepsis mit Erfahrungen aus der DDR, wo die Medien in Herrschaftsstrukturen eingebettet waren (Kellner-Zotz/Meyen 2022, Gutschke 2021, Conley 2014). Aber auch Ostdeutsche ohne Diktaturerfahrung vertrauen Leitmedien weniger als ihre Landsleute im Westen (Schüler/Niehues/Diermeier 2021).

In Studien zur Medienskepsis wurde dieser Erfahrungs- und Sozialisationszusammenhang bisher kaum beleuchtet. Vielmehr standen Politikwahrnehmung und populistische Einstellungen im Vordergrund (Baum/Haberl 2020) oder der Einfluss verschwörungstheoretischer Denkmuster auf Medienskepsis und Medienzynismus (Jackob et al. 2019). Das Projekt fragt deshalb, ob die ostdeutsche Medienskepsis mit Einstellungen verbunden ist, die ihren Ursprung in der Bewertung der DDR-Medien haben. Zudem soll erhoben werden, was ostdeutsche Medienskeptiker dem Journalismus konkret vorwerfen, wie sie ihre Kritik kontextualisieren oder begründen und wie es gelingen kann, ostdeutsche Rezipienten zurückzugewinnen (etwa über Ost-Quoten oder Reformen).

Geplant sind Gruppendiskussionen mit etwa 40 Mediennutzern, die nach dem Prinzip der theoretischen Sättigung ausgewählt werden. Kriterien sind Geschlecht, Alter, Milieu, Bildung und Beruf. Aufbauen können diese Gespräche auf die Studie zu ostdeutschen „Medienmenschen“. Das Sample der ersten Förderphase wird punktuell um öffentlich agierende ostdeutsche Medienkritiker ergänzt (etwa um den Blogger Bastian Barucker). Die Ergebnisse werden in einer Monografie und in Fachzeitschriftenaufsätzen publiziert.